Liebe Mitglieder des BNFN,
seit 6 Wochen arbeiten wir in Niedersachsen an Stellungnahmen zu dem heute vorgestellten Entwurf des Gesetzes-„Omnibus“ TSVG (Terminservice- und Versorgungsgesetz) des Gesundheitsministers Jens Spahn. Die GFB (Gemeinschaft fachärztlicher Berufsverbände), eine in Niedersachsen sehr aktive Organisation hat zusammen mit der KV Niedersachsen bundesweit wohl die aktivste Opposition betrieben, wie ich gestern bei der KBV erfahren habe. (Anhang 2).
Den populistischen Gesetzentwurf des BMG Jens Spahn finden Sie im Anhang 1.
Wir Facharztinternisten ohne Schwerpunkt sind selbst nur wenig betroffen. Der Entwurf zeigt jedoch die Absicht des Gesetzgebers, einen freien selbstständigen Beruf soweit durchzuregulieren, dass ein findiges Finanzamt auf Scheinselbstständigkeit erkennen müsste. Die einzelnen kassenärztlichen Vereinigungen degenerieren zu gleichgeschalteten Sicherstellungs-Behörden.
Gesundheit ist aber Ländersache! Die KBV ist nur eine Arbeitsgemeinschaft der Länder-KVen. Der Bundesgesundheitsminister sucht natürlich einen Ansprechpartner auf Bundesebene und hat willfährige KBV-Obere gefunden. Viele Aspekte des TSVG bedürfen aber der Umsetzung auf Länderebene.
Gestern musste ich beim Besuch der konzertierten Aktion der Berufsverbände bei der KBV in Berlin erleben, dass unser KBV-Vorstand, speziell Herr Gassen, sich bereits widerstandslos ergeben hat. Nach unserem fachübergreifenden Engagement in Niedersachsen war dies eine herbe Enttäuschung.
Die Kernpunkte:
Der größte Aufreger ist die Ausweitung der Sprechstundenpflicht von 20 auf 25 Wochenstunden für Hausärzte und grundversorgende Fachärzte (Facharztinternisten sind nicht betroffen). Angeblich bieten nur 15 % weniger als 25 Stunden Sprechstundenzeiten an. Betroffen sind weitüberwiegend ältere Kolleg(inn)en und einige Kolleg(inn)en in der Erziehungszeit. Nach allgemeiner Erfahrung entsprechen 25 Stunden Sprechstundenzeit einer Vollzeitstelle. Zu der Sprechstundenzeit sind erfahrungsgemäß mindestens 50 % für Administration (Arztbriefe, Reha-Anträge, Atteste, Krankenkassen-Anfragen, Rücksprache mit Leistungsanbietern, Patienten-Telefonate, Telefonate mit Krankenhäusern und Mitbehandlern, Koordinierung von Krankenpflege, etc.) hinzuzurechnen. Wenn wir dazu den Notdienst, Urlaubsvertretung für Kollegen und die Fortbildungsverpflichtung hinzurechnen, ergeben sich bei 25h Sprechstundenzeit mindestens 41,5 Stunden Pflichtarbeitszeit.
Das ist für Selbstständige mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 52,4 Stunden kein Problem, aber die inzwischen nahezu 30 % angestellten Ärzte arbeiten deutlich weniger.
Speziell für Niedersachsen als Flächenland gilt: Wir sind dankbar für jeden älteren Kollegen, der auch mit 75 Jahren noch im Dorf die Stellung hält. Möglicherweise arbeitet er inzwischen etwas weniger, sollte er aber ausfallen oder herausgegrault werden, wird sich kein Nachfolger finden. Die Folgen in Niedersachsen wären fatal. Und Familien in der Erziehungszeit zu drangsalieren ist asozial!
Die sehr geringen Krankheitsausfälle unter Ärzten führen ohnehin zu einer relativen Mehrarbeit im Vergleich zur Normalbevölkerung von ca. 2h/Woche.
Hausärzte und Fachärzte der wohnortnahen Versorgung müssen 5 offene Sprechstunden wöchentlich anbieten. Offene Sprechstunden sind eine Organisationsmittel, dass in die Praxisstruktur passen muss. Eine zentrale Festlegung berücksichtigt nicht die lokalen Erfordernisse und kann damit kontraproduktiv wirken.
Die Terminservicestellen sind aktuell kaum ausgelastet. Neurologen und Facharzt-internisten werden relativ am häufigsten nachgefragt.
Die 24/7-Ausweitung der Erreichbarkeit soll mit der 116/117 und 112 gekoppelt werden. Dies wird zu einem völligen Chaos führen, das Notfälle gefährdet.
Die Hausärzte sollen mit extrabudgetärer Vergütung belohnt werden, wenn sie auch Facharzttermine vermitteln, der Facharzt bekommt nichts. Die Versicherten- und Grundpauschale soll in der offenen Sprechstunde extrabudgetär gestellt werden. Die Gegenfinanzierung erfolgt durch eine Neubewertung der technischen Leistungen unter Nutzung von „Rationalisierungsreserven“. Dieses kann nicht im Sinne von uns Facharzt-Internisten sein.
Ein weiterer für unsere Fachgruppe wichtiger Punkt: Es soll eine Feinsteuerung der Bedarfsplanung mit Differenzierung nach Schwerpunkten erfolgen, so dass Internistensitze nicht einfach mit anderen Schwerpunkten nachbesetzt werden können.
Diese Maßnahme ist allerdings sinnvoll.
Alle weiteren Einzelheiten finden Sie in Anhang 1. Es wird weiter durchreguliert!
Diesen Entwurf lehnen wir ab, Herr Spahn! Populismus ist keine Sacharbeit.
Herr Spahn hat es noch nicht begriffen: Wir haben einen relativen Ärztemangel! Durch den Strukturwandel von der Selbstständigkeit zur Anstellung und den höheren Frauenanteil mit vermehrter Teilzeitarbeit brauchen wir viel mehr Köpfe für die gleiche Arbeit. Die seit langem notwendige deutliche Erhöhung der Zahl der Medizinstudienplätze wurde von der Politik seit vielen Jahren verschlafen und in ihrem Ausmaß bis heute nicht erkannt.
Vor diesem Hintergrund ist auch jegliche vorhandene Bedarfsplanung nichtig. Selbstständige mit Wochenarbeitszeiten von 52,4 Stunden im Mittel werden 1:1 durch Angestellte mit einer Wochenarbeitszeit von bestenfalls 37,5 Wochenstunden ersetzt. Ein Selbstständiger arbeitet effektiver als ein Angestellter und 52,4 – 37,5 sind -28,4 %.
In den nächsten Jahren wird es zu einem weiter zunehmenden Ärztemangel kommen, da die Politik immer noch keine wirksamen Gegenmaßnahmen ergriffen hat.
Eine gewisse Hilfe könnte eine Endbudgetierung sein, um Selbstständige zu Mehrarbeit zu veranlassen. Je höher der Anteil der angestellten Ärzte (aktuell 30%), desto geringer ist der Effekt, aber auch die finanzielle Belastung durch eine Entbudgetierung. Die Politik steigt aber immer erst zu spät ein.
Wer Gesundheit schaffen will sollte:
- Die Werbung für Alkohol und Tabak/Nikotin verbieten, die Steuern auf Alkohol und Tabak/Nikotin weiter erhöhen
- Adipositas bekämpfen durch Einführung einer Ernährungs-Ampel und eine Zuckersteuer erheben
- Eine tägliche Stunde Schulsport einführen, ein Schulfach Gesundheit einführen
- Präventionsprogramme fördern
Machen Sie das mal, Herr Spahn! Oder sind sie zu feige, sich mit der Industrie anzulegen?
Herzliche kollegiale Grüße,
Dr. med. Andreas Buck
1. Vorsitzender des BNFN